2011

Das Segeln auf der Niederelbe folgt den Gesetzen der Tide. Wenn dazu noch der Wandel Programm ist, der uns jedes Jahr zu einem anderen Platz führt, heißt das eben: leben mit Kalender und Uhr. Letztes Jahr fiel Elbe-Klassik aus, da sie mit dem Großereignis der Classic-Week in terminlichem Konflikt gestanden hätte. Vor zwei Jahren waren wir in Wischhafen und nun gilt es, dort wieder anzuknüpfen.

Vorliegende Meldezahlen und landseitige Wetterprognosen versprechen ein gelungenes Wochenende. Die einschlägigen Seiten mit Windvorhersagen hingegen nicht; windfinder.de prognostiziert zeitweilig „null“. Umso erstaunlicher ist für die freitags-elbab-Losfahrer eine nette Abendbrise, die für die Anreise nach Brunshausen, einem kleinen Platz an der Schwingemündung, doch das eine oder andere Segel am Mast steigen läßt. Die beinahe schon gewohnte Einstimmung in netter Runde fällt diesmal bescheidener aus. Vielleicht mag es an der späten Ankunft liegen? Ob der Tide ist für uns die Fahrt erst abends um 7 Uhr ab Hamburger Yachthafen sinnvoll.

Das Erstaunen hält auch am Sonnabend an. Eine schöne Kreuz bei mäßiger Brise füllt die Elbe mit Klassikern. Die Zufahrt nach Wischhafen ist schon von weitem anhand der hier pendelnden kleinen Autofähren nicht zu übersehen. Dicht südlich davon treffen pünktlich über 30 Boote ein. Ein bunter Augenschmaus unterschiedlichster Schiffe. Rennjollen, Jollenkreuzer, viele KR-Yachten, wie z.B. auch „Ariel“ – Freitag im Yachthafen noch aufgeriggt an Land, der kleine motorlose Spitzgatter „Lizard“ – nach einem Jahr wieder im Wasser, Zewa’s Schoner „Bonito“ – mit Hochdruck gerade abgeslippt, die Toppen nicht mehr in auffälligem weiß, sondern in „Finkenwärder Holz“ gemalt, „Svea“ – ohne Mast aber mit Photograf Sönke Hucho, KR-Yacht „Natascha“ aus Tönning – aus Wettergründen „innen“, also über Eider und Kanäle auf dem Weg in Richtung Max-Oertz-Regatta. Mit dabei sind auch Vertreter der Hamburger Folkebootflotte, die mit dem alten Meisterboot „Lord Jim“ diesmal das Führungsboot stellt. Deutlich erkennbar am großen Stander der Elbe-Klassik, soll Thomas Lyssewski das Feld beisammenhalten und daher nicht überholt werden. Geschickt führt er die Boote zwischen südlichem Tonnenstrich und „dem Brammer“, wie die Wischhafen vorgelagerte große und stark veränderliche Sandbank „Brammer Bank“ auch genannt wird. Vollmundig stand in der Segelbeschreibung etwas von Seehunden, die uns beäugen würden. In den letzten Jahren hatte sich regelmäßig ein halbes Dutzend Tiere hier eingefunden. Umso bemerkenswerter die Tatsache, daß sich heute 35 (!) höchst zutrauliche Exemplare dem Sonnenbad hingeben.

Noch ein gemächlicher Kreuzschlag, denn es gilt drei der Hansestadt zueilende Containerschiffe passieren zu lassen, um dann bei Stauwasser die Störmündung am Nordufer anzulaufen. Leider tritt bei Tonne „Stör 3“ die Prognose von windfinder.de ein. Zwar steht die Veranstaltung unter dem Motto: „Auf den Spuren der Störregatta“, einer Wettfahrt, die seit 1948 jedes Jahr von den an der Stör ansässigen Sportbootvereinen veranstaltet wird und zu unserem heutigen Ziel in Heiligenstedten führt. Sie dürfte wohl eine der ältesten sportlichen Veranstaltungen entlang des Flusses sein. Eigentlich wollen wir ihr folgen und nach der Passage des Sturmflutsperrwerkes einige lockere Segelstunden einlegen. Mangels jeglichen Windes können die Spuren aber nur motorend (oder geschleppt) erahnt werden. Was auch mit einsetzender Flut einen zweistündigen Konvoi durch die wunderschöne Marschenlandschaft bedeutet, der erst mit der Passage der Klappbrücke in Heiligenstedten endet.

Rechterhand befinden sich die stromseitigen Steganlagen der Seglervereinigung Itzehoe. In großen Päckchen können wir vor dem alten Schloß festmachen, um zu Fuß auf die andere Flußseite zu wechseln, an der eine der ältesten Kirchgründungen Norddeutschlands steht. Mit ihrem für die Marsch so typischem, aus Statikgründen separat stehendem hölzernen Glockenturm wirkt sie etwas geduckt hinder dem kleinen Deich. Die Türen stehen offen, hinter ihnen geht es ungewohnt treppab. Uns erwartet ein besonderer Höhepunkt: ein Konzert der „Compagnia Vocale Hamburg“ mit klassischer Chormusik. Der 26-köpfige Kammerchor unter Leitung des Landeskirchenmusikdirektors Wulf bietet Kunstgenuß auf ganz hohem Niveau. „Von Hassler bis Pärt“. Klassik trifft auf Klassik. Ein echter „cross-over“ – die Verbundenheit der klassischen Künste des Segelns und der des Chorsingens. Wie sehr das Leben am Fluß durch die Natur geprägt ist, kann der plakatierten Einladung zu diesem kulturellen Ereignis entnommen werden. Als Hinweis auf den Beginn ist zu lesen: „2 Stunden vor Hochwasser“. Damit können die Menschen umgehen. Die Kirche ist gut gefüllt, nicht nur mit Seglern.
Trotz großem Applaus fallen längere Zugaben dem nahenden Hochwasser zum Opfer, denn wir sollen jetzt bei genügendem Wasserstand in den kleinen Dockhafen verlegen, dessen Tor mit dem Kentern der Tide schließen wird. Die Ansteuerung im querlaufenden Reststrom ist ungewohnt, zum Glück steht der Hafenmeister mit großer Helferschar an der Zufahrt und weist jedes Schiff ein. 3,85 m ist das absolute Maß aller Dinge. Das bedeutet für große Boote man gerade eine Handbreit Luft an jeder Seite und ist gern kommentiertes Ereignis.

Wanderpreise gibt es bei Grill und Faßbier vor dem schönen Clubhaus mit tollem Panorama. Mit dem Brötchenservice zum Morgenhochwasser am Sonntag (gefühlt frühmorgens) machen sich die Yachten auf den Weg in ihre Heimathäfen. Wer wie wir erst bei Niedrigwasser an der Störmündung ankommen will und daher noch in Ruhe am Schloßsteg oder in einem der Störhäfen frühstückt, erwischt rechtzeitig den Winddreher auf SW. „Brunsbüttel Elbe-Traffic“ verbreitet auf Kanal 68 Windwarnungen. Einzelne Schauer und Gewitter mit Böen 9. Kurz vor Brunshausen zieht es knallschwarz auf. Wie mit dem Messer geschnitten kommt eine fulminante Schneise massiven Wassers waagerecht über uns her, jegliche Sicht raubend. Rauschende Blindfahrt nach Kompass, doppelt gerefft, Leedeck im Wasser, dann ist nach wenigen Minuten der Spuk vorbei. Der Wetterbericht hatte recht: mehr als 9 war da nicht drin.

Wir hatten ein schönes, abwechslungsreiches Wochenende mit einem lohnenswerten (leider nur selten angelaufenen) Ziel und ganz, ganz viel Gastfreundschaft. Liebe Chorsänger, liebe Itzehoer: Vielen Dank!

Ulrich Körner, SY „FIERBOOS“